EMA-Entscheidung zu AstraZeneca

Nach dem Aussetzen von AstraZeneca-Impfungen in Deutschland hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) in einer Sondersitzung über die Sicherheit des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca entschieden. Die EMA hält am AstraZeneca-Impfstoff fest. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) plädierte zuvor klar für das Weiterimpfen, da ihrer Ansicht nach die Vorteile die Risiken überwiegen.

European Medicines Agency

Die EMA empfiehlt in ihrer Stellungnahme, die Impfungen gegen das Coronavirus mit dem Impfstoff von AstraZeneca fortsetzen. Das gab sie an diesem Donnerstagnachmittag in Amsterdam bekannt. Man sei weiterhin der Ansicht, dass die „Vorteile des Impfstoffs bei der Bekämpfung der immer noch weit verbreiteten Bedrohung durch COVID-19 (die selbst zu Gerinnungsproblemen führt und tödlich sein kann) weiterhin das Risiko überwiegen.“ Darüber hinaus sei der Impfstoff weder mit einem Anstieg des Gesamtrisikos von thromboembolischen Ereignissen assoziiert, noch gebe es Hinweise auf ein Problem im Zusammenhang mit bestimmten Chargen des Impfstoffs oder bestimmten Produktionsstätten. In sehr seltenen Fällen, so die EMA, könne der Impfstoff jedoch im Zusammenhang mit Thrombozytopenie stehen, mit oder ohne Blutung, einschließlich seltener Fälle von Sinusvenenthrombosen (CVST). Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) erklärt weiter, dass insgesamt die Anzahl der nach der Impfung gemeldeten thromboembolischen Ereignisse sowohl in Studien vor der Zulassung als auch in Berichten nach Einführung von Impfkampagnen (469 Berichte, 191 davon aus dem EWR) geringer war als in der Allgemeinbevölkerung erwartet.

Die Experten des Ausschusses haben sich eingehend mit Aufzeichnungen über disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC) und CVST aus den Mitgliedstaaten befasst, von denen neun  zum Tod führten. Die meisten Fälle davon traten bei Menschen unter 55 Jahren auf und die Mehrheit waren Frauen. Da diese Ereignisse selten sind und COVID-19 selbst bei Patienten häufig Blutgerinnungsstörungen verursacht, ist es schwierig, eine Hintergrundrate für diese Ereignisse bei Personen abzuschätzen, die den Impfstoff nicht erhalten haben, erläutert die EMA.

Basierend auf den Zahlen vor der Corona-Pandemie wurde jedoch berechnet, dass weniger als 1 gemeldeter Fall von DIC bis zum 16. März bei Personen unter 50 Jahren innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Impfstoffs zu erwarten gewesen sein könnte, während 5 Fälle gemeldet worden waren. In ähnlicher Weise könnten in dieser Altersgruppe durchschnittlich 1,35 Fälle von CVST erwartet worden sein, während es zum gleichen Stichtag 12 gewesen waren. Ein ähnliches Ungleichgewicht war bei der älteren Bevölkerung, die den Impfstoff erhielt, nicht sichtbar.

Der Ausschuss ist jedoch der Ansicht, dass die nachgewiesene Wirksamkeit des Impfstoffs bei der Verhinderung von Krankenhausaufenthalten und Tod durch COVID-19 die äußerst geringe Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von DIC oder CVST überwiegt. „Angesichts der Ergebnisse sollten sich die Patienten jedoch der entfernten Möglichkeit solcher Syndrome bewusst sein. Wenn Symptome auftreten, die auf Gerinnungsprobleme hinweisen, sollten die Patienten sofort einen Arzt aufsuchen und die Angehörigen der Gesundheitsberufe über ihre kürzlich erfolgte Impfung informieren.“

Die Produktinformationen des Impfstoffes sollen nun angepasst werden.

Hintergrund

Zahlreiche Staaten hatten das Verimpfen des AstraZeneca Corona-Impfstoffs AZD1222 gestoppt, nachdem mehrere Fälle von Sinusvenenthrombosen in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung gemeldet wurden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn folgte am 15. März 2021 den Empfehlungen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und setzte Verimpfungen der AstraZeneca Vakzine in Deutschland offiziell aus. Seit Beginn der Impfung mit AstraZeneca sind acht solcher Fälle in Deutschland registriert worden – davon drei Todesfälle.

Am Montag teilte die EMA mit dass sie derzeit weiterhin der Ansicht ist, dass „der Nutzen des Impfstoffs von AstraZeneca bei der Vorbeugung von COVID-19 mit dem damit verbundenen Risiko von Krankenhausaufenthalten und Tod die Risiken von Nebenwirkungen überwiegt.“

Das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, dass sich Deutschland nach der EMA-Empfehlung richten wolle, aber zunächst die Ständige Impfkommission (STIKO) und das PEI darüber beraten werden.

Rate von Sinusvenenthrombosen im Vergleich

Bei der geimpften Personengruppe und in einem Zeitraum von 14 Tagen nach Impfung sind statistisch gesehen bei 1,6 Millionen Impfungen circa 1 bis 1,4 Sinusvenenthrombosen zu erwarten. Gemeldet wurden bis Dienstag den 16. März 2021 allerdings sieben Fälle von Sinusvenenthrombosen plus ein medizinisch vergleichbarer Fall. Das PEI schreibt dazu in seinem Bericht: „Es sind nach dieser Berechnung mehr Fälle einer Sinusthrombose gemeldet worden, als statistisch zufällig erwartet werden würden.“

Virologe Prof. Dr. Christian Drosten gibt im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ zu Bedenken, dass je nachdem welche Alterspopulation verstärkt die Vakzine erhalten habe, hier die Statistiken „gefärbt“ sein könnten. Wenn das so wäre, „dürften wir hier eigentlich nicht gegenrechnen mit der normalen Inzidenz von Sinusvenen-Thrombosen im Jahr“, erklärt er weiter. „Vielmehr müsste dann geschaut werden, wie die Inzidenz in dieser Altersgruppe im Jahr in Deutschland sei.“

Folgen des Impf-Stopps

Noch sind die Folgen unklar. Doch kristallisiert sich bereits heraus, dass die Schritte Vertrauen in die Vakzine beschädigt haben könnten. Das Bundesgesundheitsministerium hält dagegen und verteidigt den Stopp damit, dass gerade diese Vorsicht für Vertrauen sorgen solle. Darüber hinaus war für April der Startschuss für Corona-Impfungen in Arztpraxen vorgesehen. Der Ausfall des Vektorimpfstoffs könnte diesen Zeitplan nun allerdings ins Wanken gebracht haben. Sollte der Impfstopp aufgehoben werden, fordert der Hausärzteverband eine schnelle Einbindung der Praxen.

Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Auch wenn sich zeigt, dass der Impfstoff für die meisten unbedenklich ist, wird es leider nicht gerade leicht werden, das Vertrauen wieder aufzubauen (…) Dies wird eines enormen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient bedürfen.“

Warum der Vergleich zu Risiken der Anti-Baby-Pille hinkt

Orale Kontrazeptiva, die Dienogest und Ethinylestradiol enthalten, können einem Rote-Hand-Brief des Jahres 2018 zufolge pro Jahr bei 8 bis 11 von 10.000 Frauen zu Thrombosen führen. Diese Tatsache führte nach Stopp der AstraZeneca-Vakzine zu Empörung in sozialen Medien, da diese bekannten Risiken für Frauen wohl einfach in Kauf genommen würden, aber bei einem in erster Linie lebensrettenden Impfstoff nicht. Die Entscheidung hat hier allerdings auch rechtliche Gründe, die das BMG wie folgt erklärt:

„Es ist richtig, dass für Anti-Baby-Pillen Thrombosen, auch mit tödlichem Verlauf, als sehr seltene Nebenwirkung bekannt sind und in der Patienteninformation aufgeführt sind. Jede Frau, die eine Verordnung über eine Anti-Baby-Pille erhält, muss von der verordnenden Ärztin/Arzt über das Risiko aufgeklärt werden. Für die AstraZeneca-COVID-19-Impfung ist die seltene Nebenwirkung einer Sinusvenenthrombose mit teils tödlichem Verlauf bisher nicht in der Patienteninformation aufgeführt, außerdem unterscheidet sich die staatlich empfohlene Impfung von Gesunden arzneimittelrechtlich von der Verordnung eines Arzneimittels.“

QuellenAutor: Dr. Isabelle Viktoria Maucher (Apothekerin)Stand:18.03.2021