H. Jadid Rahnama, P. Wirtz, T. Elter, F. T. Baumann, T. Niels, Klinik I für Innere Medizin, Universitätsklinikum Köln
Dank verbesserter Therapie- und Diagnostikverfahren verläuft die Behandlung onkologischer Erkrankungen gezielter und effektiver als je zuvor. Dennoch können krankheits- und therapieinduzierte Nebenwirkungen den Therapieerfolg beeinträchtigen und die Patienten in ihrer Alltagsfunktionalität, Mobilität und Lebensqualität stark limitieren. Chronische Krankheitsverläufe und langanhaltende Behandlungsverfahren verdeutlichen den Bedarf an Komplementärmaßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität. Bewegung und körperliches Training wirken sich positiv auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Patienten aus und können einige der klassischen Nebenwirkungen reduzieren. Diese Übersicht widmet sich der Frage, was es dabei zu beachten gibt und welche qualitätsgesicherten Angebotsstrukturen bereits bestehen.
Onkologische Lebensqualität
Krebserkrankungen stellen weltweit eine der größten Ursachen an Mortalitäts- und Morbiditätsfällen. Die onkologischen Diagnostik- und Therapieverfahren haben sich in den letzten Jahrzehnten immens verbessert, indem die Behandlungen gezielter, personalisierter und dementsprechend verträglicher geworden sind. Um das gesamte Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten jedoch optimal ausschöpfen zu können, müssen durch Nebenwirkungen induzierte Verzögerungen oder Dosisreduktionen während der Therapie vermieden werden. Dementsprechend ist das Management von Nebenwirkung nicht nur für das Wohlbefinden der Patienten essentiell, sondern kann womöglich auch Einfluss auf das Therapie-Outcome nehmen. Auch nach einer erfolgreich durchgeführten Behandlung besteht weiterhin noch die Möglichkeit, dass unerwünschte Nebenwirkungen, wie
Polyneuropathie, sekundäre Lymphödeme, Muskelschwäche, Inkontinenz und tumorinduzierte Fatigue vorliegen und die Lebensqualität der Patienten längerfristig einschränken. Insbesondere langanhaltende Nebenwirkungen, die auch nach abgeschlossener Therapie bestehen können, beeinträchtigen die Lebensqualität nachhaltig.
Mit einer Vielzahl von Studien konnte in den letzten 30 Jahren gezeigt werden, dass mit einem gezielten, individualisierten, zum Krankheitsverlauf passenden Ausdauer- und Krafttraining, bei Bedarf gekoppelt mit weiteren bewegungsmedizinischen Inhalten (z.B. Sensomotorik-, Vibrations-, Schließmuskel-, Impact- und Balancetraining), den o.g. Nebenwirkungen entgegengesteuert werden kann (1-3). Zudem zeigen Untersuchungen auch vielversprechende Effekte von spezifischen Bewegungsprogrammen auf bisher seltener untersuchte Krankheits- oder therapieinduzierte Symptome wie Schlafstörungen oder die kognitive Dysfunktion, wobei Letzteres noch durch weitere qualitativ hochwertige Studien belegt werden muss (4-6).
Bewegung, Wohlbefinden & Empowerment
Viele Bewegungsprogramme zielen auch direkt auf die Wiederherstellung und Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten ab (1). Bewegungsinterventionen sind wirksam, um vor allem die allgemeine Lebensqualität bei Krebsüberlebenden zu verbessern (7, 8). Die Wirkmechanismen zur Steigerung der Lebensqualität sind dabei sehr verschieden. Oftmals geht eine Verbesserung der krebsspezifischen Lebensqualität einher mit einer gesteigerten Leistungsfähigkeit und Fitness der Patienten, wie es in der -Studie von Ha et al. (9) bei Lungenkrebs-Patienten in der Nachsorge be-obachtet wurde.
Als ein weiterer, wichtiger Faktor wird das Empowerment gehandelt. Die aktive Partizipation am eigenen Genesungsprozess in Form von Bewegung und Training ermöglicht den Patienten eine Form der aktiven Bewältigung. Darüber hinaus führt der Austausch in Krebssport-Gruppen mit Patienten, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, zur soziopsychischen Stärkung, bzw. zur Stärkung der Resilienz, die psychische Widerstandsfähigkeit einer Person. Diese ist im Allgemeinen dafür bekannt, sowohl die Salutogenese positiv zu beeinflussen, als auch prophylaktisch gegen psychische Erkrankungen nach schwerwiegenden Lebensereignissen wie einer Krebserkrankung zu wirken (10).
Unabhängig von der letztendlichen Wirkweise konnten Interventionen mit verschiedensten Bewegungsformen wie Yoga, Krafttraining oder Ausdauertraining die Lebensqualität von Patienten in der onkologischen Nachsorge, aber auch unter akuter Behandlung verbessern (7, 11). Bewegung und körperliches Training scheint demnach eine geeignete, umsetzbare und kostengünstige Methode zur Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten zu sein. Der Stellenwert der patienten-bezogenen Lebensqualität ist durch personalisiertere und effektivere Therapiemaßnahmen in den letzten Jahren stetig gewachsen. Und mehr noch – in einer Vielzahl von Studien wurde eine höhere Lebensqualität mit einer höheren Lebenserwartung assoziiert (12). Dahingehend sollte die Lebensqualität nicht als ein „weicher“ patientenbezogener Parameter gesehen, sondern als klinisch absolut relevant betrachtet werden.
Da die Wirkfaktoren der Lebensqualität jedoch noch durch weitere Komponenten und vor allem individuelle Situationen, Voraussetzungen und Ziele beeinflusst werden, sollten die Bewegungsprogramme dahingehend angepasst werden. Es empfiehlt sich in diesem Sinne ein modularer Aufbau mit entsprechenden Assessments und differenzierbaren Inhalten. Ein mögliches und mittlerweile verbreitetes Konzept neben den bereits bestehenden Rehabilitationsstrukturen ist die Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT).
Vom Modellcharakter zur Versorgungsstruktur
OTT ist ein Modell, welches seit der Gründung 2012 durch die Universitätsklinik Köln in Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule Köln vermehrt wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhielt und als neue Versorgungsform diskutiert wird. Im Rahmen der OTT erhalten ausschließlich onkologische Patienten individualisierte und auf die Patienten abgestimmte Bewegungsprogramme. Der entscheidende Unterschied zum onkologischen Rehabilitationsangebot: Die Patienten werden frühestmöglich nach Diagnose eingebunden und trainieren zumeist unter akuter medizinischer Therapie und teilweise sogar bereits vor deren Beginn. Dies ermöglicht es, einigen Nebenwirkungen der medizinischen Therapie prophylaktisch vorzubeugen (u.a. die Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie) und die Patienten auf intensive Eingriffe wie Operationen oder Chemotherapie physisch bestmöglich vorzubereiten, um einer Reduktion der Lebensqualität entgegenzuwirken. Unter der akuten medizinischen Therapie werden die Bewegungsinhalte stetig auf die individuelle Situation der Patienten, der Erkrankung und des Therapieverlaufs angepasst, um auf diese Weise das körperliche und psychosoziale Wohlbefinden zu erhalten oder ggf. zu verbessern. Den Kern des Bewegungsprogramms bildet eine Kombination eines Kraft- und Ausdauertrainings, welches je nach Bedarf verschiedene Zielsetzungen von mehr Ermüdungsresistenz (in Form eines Kraftausdauertrainings) bis zum Erhalt bzw. Aufbau von Muskelkraft und -masse (z.B. bei drohender oder bestehender Kachexie) verfolgen kann. Das Fundament dieser Kombination von Kraft- und Ausdauertraining wird ergänzt durch gezielte nebenwirkungsspezifische Zusatzmodule wie ein Vibrations-, Gleichgewichts-, Schließmuskel- oder Impact-Training sowie die begleitenden Diagnostik- und Assessement-Verfahren. Einen Überblick über die Trainingsinhalte gibt Abbildung 1.