COVID-19: zweistellige Inzidenz, vierte Welle und dritte Impfung

Dr. med. Thomas Kron  Aktuelles im Fokus  19.07.2021

Die Unwettter-Katastrophe in Rheinland-Pfalz, NRW und anderen Bundesländern hat die Corona-Pandemie in Deutschland derzeit an den Rand gedrängt. Doch das Virus  ist und bleibt natürlich eine Bedrohung. Der Trend zu einer Zunahme der Neuinfektionen hält sogar an. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ist laut Robert Koch-Institut (RKI) inzwischen wieder zweistellig: Gestern betrug der Wert genau 10,0. Am Samstag gab das RKI eine Inzidenz von 9,4 an, vor einer Woche betrug sie 6,2. Als Ursache der erneuten Inzidenz-Zunahme gilt die besonders hohe Infektiösität der Delta-Variante, die inzwischen auch in Deutschland mit einem Anteil von über 50 Prozent die bei den Neuinfektionen vorherrschende Virus-Variante ist. Deutlich höher ist die Inzidenz auf der Lieblingsinsel der Deutschen, auf Mallorca. Dort liege die Sieben-Tage-Inzidenz über 260, berichtet die „Mallorca Zeitung“. Die Inzidenz der Balearen (Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera) betrage sogar 290. Ursache sei auch hier die Delta-Variante, deren Anteil an den Neuinfektionen rund 85 Prozent betrage. 

Warnung vor starker Zunahme der Inzidenzen und Hospitalisierungen

Der aktuelle Anstieg der Inzidenzen sei aufgrund des exponentiellen Prozesses beunruhigend, erklären Berliner Wissenschaftler um Professor Kai Nagel von der TU Berlin in einem Bericht an das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Im Herbst droht nach Einschätzung der Wissenschaftler eine vierte Pandemie-Welle. Denn ihrem Modell zufolge werde der Anstieg der Inzidenz „beschleunigt werden, wenn die Schulen nach den Sommerferien ohne Schutzmaßnahmen öffnen und im Herbst Aktivitäten aufgrund niedriger Temperaturen nach drinnen verlagert werden.“ Dies werde wird auch zu einem Anstieg der Hospitalisierungen führen. Zu einer vierten Welle werde es nur dann nicht kommen, wenn die Impfstoffe gegen Delta deutlich besser wirkten als bislang bekannt oder wenn eine Impfquote von nicht nur 85 Prozent, sondern von sogar 95 Prozent erreicht werde. 

Ihre Simulationen zeigten darüber hinaus, „dass die Infektionsdynamik in den Schulen durch den Einsatz von mechanischen Lüftungssystemen verbunden mit dem flächendeckenden Einsatz von Schnell- und/oder PCR-Tests deutlich reduziert werden kann“. Bei konsequenter Umsetzung dieser Schutzmaßnahmen seien Schulschließungen oder Wechselunterricht nicht notwendig. Allerdings reichten die derzeit typischen „2 Schnelltests pro Woche” ohne zusätzliche Maßnahmen bei weitem nicht aus, warnen Nagel und seine Kollegen. Öffnung der Schulen nach den Sommerferien ohne Schutzmaßnahmen hätte nach Angaben der Forscher  eine Infektions-Welle bei den Schülerinnen und Schülern, die dann auch zu einer Welle bei Erwachsenen führe.

Sicher kein erneuter Lockdown?

Trotz des Anstiegs der Inzidenz und einer möglichen vierten Welle schließt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier einen erneuten Lockdown in Deutschland aus. „Wir müssen und werden einen neuen Lockdown verhindern”, sagte der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Ein neuer Lockdown wäre „für viele Geschäfte und Restaurants, die bereits monatelang geschlossen waren, verheerend”. Allerdings forderte Altmaier wie auch andere Politiker zuvor, die Impfkampagne noch einmal stark zu beschleunigen: „Überall dort, wo Menschen öffentlich zusammenkommen, ob im Biergarten oder in der Fußgängerzone, sollten Impfungen angeboten werden.” Altmaier plädierte zudem dafür, dass „mobile Impfteams Menschen in Cafés und Gaststätten ansprechen und direkt vor Ort impfen”. Vollständig gegen SARS-CoV-2 geimpft sind in Deutschland inzwischen rund 50 Prozent der Bevölkerung; etwa 60 Prozent haben bislang eine Impfdosis erhalten.

Dritte Impfdosis für Risiko-Patienten vielleicht doch sinnvoll

Aufgrund der Inzidenz-Zunahme bleibt eine dritte Impfstoff-Dosis eine weiterhin diskutierte Option. Wie berichtet haben kürzlich BioNTech und Pfizer angekündigt, eine Version ihres mRNA-Impfstoffes auf den Markt zu bringen, die speziell gegen die Delta-Variante wirke. Zudem streben sie die Zulassung einer dritten Impfung mit ihrer mRNA-Vakzine an. Über die aktuelle Notwendigkeit einer solchen dritten Applikation sind die Meinungen allerdings geteilt. Die FDA (Food and Drug Administration) und das CDC (Centers for Disease Control and Prevention) etwa halten eine dritte Impfung nicht für notwendig. Bürger, die vollständig geimpft seien, benötigten zurzeit keine Auffrischung, so die FDA und das CDC in einer gemeinsamen Stellungnahme

Möglicherweise könnte jedoch eine dritte Impfung für bestimmte Risiko-Patienten erforderlich sein, etwa Patienten mit Bluthochdruck, Diabetes mellitus, chronischen Nieren-Erkrankungen und Krebs. Das lassen aktuelle Studien-Daten aus Israel schlussfolgern, die gerade publiziert worden sind. In die retrospektive multizentrische Kohortenstudie wurden 152 Patienten eingeschlossen, die vollständig mit der mRNA-Vakzine von BioNTech geimpft waren, aber  mehr als sieben Tage nach der zweiten Impfstoffdosis dennoch wegen COVID-19 hospitalisiert werden mussten. Ein schlechter klinischer Verlauf (mechanische Beatmung oder Tod) wurde bei 38 Patienten festgestellt; die Mortalitätsrate betrug 22 % (34/152).

Bemerkenswert ist den Autoren zufolge, dass die Kohorte durch eine hohe Rate an Komorbiditäten gekennzeichnet war, die für eine schwere COVID-19 prädisponieren, darunter Bluthochdruck (108, 71 %), Diabetes (73, 48 %), Herzinsuffizienz (41, 27 %), chronische Nieren- und Lungenerkrankungen (jeweils 37, 24 %), Demenz (29, 19 %) und Krebs (36, 24 %).

  • Referenzen

Robert Koch-Institut

ARD/ZDF

Bild an Sonntag

Mallorca Zeitung

TU Berlin

Clinical Microbiology and Infection