Analyse zum Suizidrisiko bei Krebspatienten

Forschende der Universität Regensburg und des Universitätsklinikums Heidelberg haben ein nahezu doppelt so hohes Suizidrisiko bei Krebspatienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung festgestellt und die Ergebnisse der Studie in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlicht. Darin wurden die Daten von knapp 47 Millionen Krebspatienten aus Industrienationen analysiert. Die Mediziner empfehlen psychoonkologische Unterstützung als frühen und festen Bestandteil der Therapieplanung. Zukünftige Studien sollen zudem helfen, die Risikofaktoren besser zu verstehen, um Strategien zur Suizidprävention bei Krebspatienten zu entwickeln.


Die Diagnose einer Krebserkrankung ist ein gravierender Einschnitt in das bisherige Leben und kann bei den betroffenen Patienten zu Zukunftsängsten, psychischer Erschöpfung und depressiven Symptomen führen. Basierend auf Daten von knapp 47 Millionen Krebspatientinnen und -patienten hat ein interdisziplinäres Team unter Leitung von PD Dr. Dr. Corinna Seliger-Behme, Oberärztin an der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), mit Kolleginnen und Kollegen der Abteilungen für Psychiatrie und Epidemiologie der Universität Regensburg Häufigkeiten und Risikofaktoren für Suizidalität bei Krebspatienten untersucht. Die Analyse zeigt, dass Suizide bei Krebspatienten fast doppelt so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung vorkommen. Das Suizidrisiko steht dabei in engem Zusammenhang mit verschiedenen Risikofaktoren wie der Prognose der Krebserkrankung, dem Krankheitsstadium, der Zeit seit Bekanntwerden der Krebsdiagnose, dem Familienstand oder dem Wohnort. Zukünftige Studien sollen auf Grundlage der Ergebnisse der Heidelberger und Regensburger Forschenden die Entstehung von Angst und Depression bei Krebspatienten genauer untersuchen. Ziel ist es, daraus Strategien und Maßnahmen für die Suizidprävention abzuleiten.


„Patientinnen und Patienten mit einer prognostisch besonders ungünstigen Krebserkrankung und solche, deren Krebsdiagnose weniger als ein Jahr zurücklag, zeigten in unserer Studie ein 3,5 bzw. 3-fach erhöhtes Suizidrisiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Ein auffällig hohes Suizidrisiko war zudem bei Krebspatienten in den USA im Vergleich zu europäischen Krebspatienten zu beobachten“, berichtet PD Dr. Dr. Corinna Seliger-Behme. „Eine mögliche Erklärung kann in der nicht flächendeckend vorhandenen gesetzlichen Krankenversicherung in den USA gesehen werden. Eine Krebserkrankung ist für amerikanische Patienten daher besonders häufig mit hohen finanziellen Belastungen verbunden und einem erschwerten Zugang zu Hilfsangeboten wie einer psychologischen Beratung“, sagt Professor Dr. Dr. Michael F. Leitzmann, Direktor des Instituts für Epidemiologie und Präventivmedizin der Universität Regensburg. Und auch der Familienstand hat Auswirkungen: Verheiratete Krebspatienten wiesen eine niedrigere Suizidsterblichkeit auf als unverheiratete alleinlebende Krebspatienten. Aus Studien ist bereits bekannt, dass verheiratet zu sein suizidpräventiv wirkt, was vermutlich darauf beruht, dass der Partner eine Stütze bei der Bewältigung einer Krebsdiagnose sein kann. Aufgrund fehlender Daten war es allerdings nicht möglich, das Suizidrisiko von Krebspatienten zu bewerten, die in einer Beziehung leben, aber nicht verheiratet sind. Die Ergebnisse der Studie lassen sich zudem nicht auf alle Länder weltweit übertragen, da für die Auswertung primär Daten aus Industrienationen verfügbar waren.


Wichtig: Zugang zu professioneller Betreuung und Nachsorge

Eine Krebserkrankung stellt immer eine Ausnahmesituation dar, die große Herausforderungen mit sich bringt. Behandlungsbedürftige psychische Belastungen können sich entwickeln, bis hin zur Suizidalität. Eine psychoonkologische Begleitung  kann Wege aufzeigen, mit Ängsten und Belastungen umzugehen, ein Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen und neue Perspektiven zu entwickeln. „Ein Suizid kann häufig verhindert werden, wenn entsprechende Gedanken offen angesprochen werden und frühzeitig eine psychoonkologische oder sogar psychotherapeutische Betreuung eingeleitet wird. Der Zugang zu professioneller psychoonkologischer Begleitung und
Nachsorge sollte daher ein integraler Bestandteil jeder Krebstherapie sein“, sagt Oberarzt Dr. Till Johannes Bugaj, Leiter des psychoonkologischen Beratungsdienstes am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. Ein weiterer wichtiger Baustein für die Suizidprävention bei Krebspatienten und -patientinnen bildet die Palliativmedizin. „Viele Menschen mit Krebs sind nicht depressiv im psychiatrischen oder psychotherapeutischen Sinne, sondern haben ganz konkrete
Angst vor Siechtum oder anderem schlimmen Leiden“, sagt Professor Dr. Bernd Alt-Epping, Ärztlicher Direktor der Klinik für Palliativmedizin des UKHD. „Um das zu umgehen, entwickeln manche Patienten und Patientinnen Gedanken, das Leben vorzeitig enden zu lassen.“ Diesen Gedanken setzt die Palliativmedizin breite Unterstützung und Symptomlinderung entgegen.


Das NCT Heidelberg ist eine gemeinsame Einrichtung des UKHD und des Deutschen
Krebsforschungszentrums (DKFZ) und bietet seinen Patientinnen und Patienten neben der interdisziplinären medizinischen Versorgung ein umfassendes Beratungs- und
Unterstützungsangebot.


Bundesweit finden Betroffene Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sowie Unterstützungsangebote begleitend zur onkologischen Behandlung über ihr Behandlungsteam und über die Seiten des Krebsinformationsdiensts (KID) des DKFZ.


Originalpublikation:

Heinrich M, Hofmann L, Baurecht H, Kreuzer P, Knüttel H, Leitzmann F and Seliger C. Suicide risk and mortality among patients with cancer; Nature Medicine; 2022.
DOI 10.1038/s41591-022-01745-y
https://www.doi.org/10.1038/s41591-022-01745-y


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