Algorithmus soll signifikanten Prostatakrebs entdecken und dabei Überdiagnostik vermeiden

7. Dezember 2021

 Hendrik van Poppel vom Universitätsklinikum Leuven (Belgien) ist Vorsitzender des EAU Policy Office und Erstautor der neuen Publikation zur PSA-gestützten Prostatakrebs-Früherkennung. Archivbild: Schmitz

Führende europäische Urologen präsentieren in der Dezember-Ausgabe von “European Urology” einen Algorithmus, mit dem signifikanter Prostatakrebs früh erkannt und trotzdem Überdiagnostik und -therapie vermieden werden sollen.

Der Algorithmus basiert auf der Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA), fächert die Probanden dann aber weiter anhand von Nomogrammen und multiparametrischer Magnetresonanztomographie (mpMRT) auf. In der Publikation wenden sich die Autoren, allesamt hochrangige Experten der European Association of Urology (EAU), klar vom undifferenzierten PSA-Screening früherer Zeiten ab. Das Prinzip besteht darin, nur diejenigen Männer einer weiterführenden Diagnostik zuzuführen, die nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für ein signifikantes Prostatakarzinom haben.

An erster Stelle stehen natürlich die klinische Risikobewertung und die ausführliche Beratung des Patienten, betonen Hendrik van Poppel, Vorsitzender des EAU Policy Office, und seine Autorenkollegen. Unter den informierten Männern, die sich testen lassen, scheidet ein Großteil für eine weiterführende Diagnostik aus: Männer von 50-59 Jahren mit PSA <1 ng/ml brauchen erst nach 5 Jahren wieder einen PSA-Test durchzuführen, für Männer ab 60 wird kein Test mehr empfohlen. Bei einem PSA-Wert von 1–3 ng/ml wird ein erneuter Test nach 4 Jahren angeraten.

Liegt der PSA-Wert über 3 ng/ml, sieht der Algorithmus vor, ein Risikostratifizierungsnomogramm einzusetzen, das Faktoren wie Alter, Familienanamnese, digitale rektale Untersuchung und Prostatavolumen (für die PSA-Dichte) berücksichtigt. Die Autoren schätzen, dass dadurch 35% aller Männer mit PSA >3 ng/ml mit geringem Risiko identifiziert werden können. Diese benötigen bloß ein klinisches Follow-up ohne weitere Tests, MRT oder Biopsie.

Nur die Männer, bei denen das Nomogramm mittleres oder hohes Risiko anzeigt, werden einer mpMRT unterzogen. Dadurch kann einer weiteren Untergruppe (ca. 54% aller Männer mit MRT-Untersuchung) eine invasive Diagnostik erspart werden: Patienten mit einem Score von 1–2 nach Prostate Imaging Reporting and Data System (PIRADS) haben nur ein geringes Risiko für ein signifikantes Prostatakarzinom und brauchen lediglich klinisches Follow-up. Eine weitere Risikostratifizierung der Patienten mit einem PIRADS-Score von 3 unter Verwendung der PSA-Dichte sowie anderer klinischer Parameter identifiziert noch eine zusätzliche Untergruppe, für die dies infrage kommt.

Nur die verbleibenden Patienten, bei denen man tatsächlich ein intermediäres oder hohes Risiko für signifikanten Prostatakrebs annehmen kann, werden einer gezielten und/oder systematischen Biopsie unterzogen. Van Poppel und Kollegen betonen, dass auch bei einer positiven Diagnose dann nicht gleich aktiv behandelt werden muss: Bei einer günstigen Grading-Gruppe, die etwa bei einem Viertel aller bestätigten Diagnosen vorliegt, kommt auch aktive Überwachung infrage. “Alle endgültigen Behandlungsentscheidungen sollten jedoch auch die Werte und Präferenzen des Patienten im Rahmen eines gemeinsamen Entscheidungsprozesses berücksichtigen”, ergänzen sie.

“Dieser Algorithmus zeigt, wie PSA-Tests unter Einbindung von Risikorechnern (…) sowie mpMRI und PIRADS intelligenter [als früher] genutzt werden können, um die Zahl der Männer, die eine Biopsie durchführen, zu reduzieren”, glauben die EAU-Experten. Die vorgeschlagenen unterschiedlichen Zeitintervalle für wiederholte PSA-Tests basierend auf Alter und anfänglichem PSA-Testergebnis sollen die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Diagnose eines klinisch signifikanten Prostatakarzinoms widergeben und daher helfen, falsch positive Biopsien zu vermeiden.

Mithilfe dieses Werkzeugs glauben van Poppel und Kollegen, die Lebensqualität vieler Männer zu verbessern, “da diejenigen, bei denen eine unbedeutende Krebserkrankung diagnostiziert wurde, sicher jede weitere Behandlung vermeiden oder sich einer aktiven Überwachung unterziehen können”. Patienten, bei denen ein signifikanter Prostatakrebs früh diagnostiziert wird, könnten sich einer lokalen Behandlung unterziehen und hätten so eine bessere Lebensqualität als bei einer späteren Diagnose der Krankheit. Dies wiederum würde die Zahl der Männer verringern, bei denen Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert würde und die einer Reihe von Behandlungen mit signifikanter Toxizität unterzogen würden. Auch die Prostatakrebs-spezifischen Sterblichkeitsraten und die wirtschaftliche Belastung durch die Behandlung von Prostatakrebs könnten dadurch reduziert werden.

Am Ende ihres Artikels drücken die EAU-Autoren die Hoffnung aus, dass ihre risikoangepasste Strategie von der Europäischen Kommission gebilligt wird. Damit könnten auf Länderebene Anträge auf ihre Aufnahme in die nationalen Krebspläne gestellt werden – “als Teil einer risikoadaptierten Strategie, welche die Früherkennung von signifikantem Prostatakrebs erleichtern und hoffentlich viele Leben retten wird”.

(ms) 

Quelle: Van Poppel H, Roobol MJ, Chapple CR et al. Prostate-specific Antigen Testing as Part of a Risk-Adapted Early Detection Strategy for Prostate Cancer: European Association of Urology Position and Recommendations for 2021. Eur Urol 2021 Dec;80(6):703-711.